Wenn man stehen bleibt, kann man nicht rennen. Das habe ich letztens festgestellt. Rennen, das kann ich. Ich tue es gerne, ich tue es immer, ich tue es jeden Tag. Nur wäre stehen bleiben mal ganz schön. So in Ruhe stehen und ankommen und warten, einfach warten… Ich zähle 1, 2, 3 und dann geht es weiter. Dieses Rennen ist immer da. Selbst wenn ich schlafe, renne ich weiter über Wiesen, durch Wälder, Bäche und Flüsse. Wenn mich Jemand fragt, was ich besonders gut kann, dann sag ich Rennen von einem Ort zum Anderen, von einer Stadt zur Nächsten, von einem Land ins Andere, immer weiter. Die Luft brennt in meiner Lunge, manchmal mehr manchmal weniger, irgendwann werden die Beine schwer. Dann stehe ich keuchend am Wegesrand und atme und nichts außer der Gedanke Luft atmen zu können, füllt mein kleines krankes Hirn. Ich schüttele meine Beine, sage: „Kommt, hop, hop“ und renne weiter. Oben am Ende ist eine kleine Lichtung, und grün ist es hier. Enorm grün. Viel grüner als vorher vielleicht muss ich das Land gewechselt haben ohne es zu merken. Vielleicht wurde ich ja nachts auf eine Fähre geschleppt und habe es nicht gemerkt und bin in Irland angekommen… Heißt es nicht immer in der Werbung „Irland, die grüne Insel?“. Das wäre überhaupt die Idee! Wenn ich jetzt wüsste, wo ich wäre, könnte ich ans Meer laufen und ein Schiff nehmen. Da läuft es sich bestimmt besser als hier in diesem kargen und tristen Land, in dem fast jede Straße, jeder Hügel und Wald gleich aussieht. Außer dieses Grün hier, das ist besonders. Aber vielleicht auch weil die Sonne merkwürdig durch die Wolken scheint. Und Jemand hat auch mal gesagt, man würde ja instinktiv immer in Kreis laufen, wenn man keinen Kompass oder Google Maps hat. Ich sitze auf der Lichtung, war ich hier schon mal? Ich kann es nicht sagen. Ich wüsste nicht wann, zu welcher Zeit und warum? Aber warum, ist eine überflüssige Frage, eine Warumfrage kann ich nie beantworten. Ich renne immer weiter und immer wieder. Jetzt möchte ich ans Meer, Irland finden.
Ich schnuppere am Gras und stelle fest, dass es echt riecht. „Kommt“, sag ich und renne weiter aus dem Wald, weg von der Lichtung, den Feldweg entlang, runter macht so unfassbar viel Spaß. Ich schreie vor Freude und könnte drei Überschläge hintereinander machen. Ich springe über einen kleinen Bach und renne quer über einen Acker. Der Acker ist verdammt tief gepflügt, das ist anstrengend. Langsam wechseln meine Beine die Farbe. Sie werden braun und stinken nach Bauer, Bäuerin. Eine Bäuerin zu sein, stelle ich mir romantisch und einfach vor. Auf einem Hof, der alles hat was man braucht, man muss niemals einkaufen gehen und wenn dann bringt es das Kind mit, wenn es aus der Schule gelaufen kommt. Das Kind, das hat schlechte Karten, es muss jeden Tag zur Schule laufen oder das Rad nehmen und das dauert… Aber als Bäuerin, da muss man früh aufstehen und hat sonst doch einen guten Tag, immer und immer wieder und man rennt nicht mehr, man steht, immer auf dem gleichen Fleck. Ich betrachte meine braunen Beine und renne weiter auf den Hof zu. Ich halte Ausschau nach einem Ortschild oder ein Namen oder irgendetwas, was mir sagen kann, wo ich bin. Ich will versuchen in eine Stadt zukommen, damit ich mir Google Maps oder einen Kompass besorgen kann. Irland. Was ein lustiger Name? Ein Land zum Irren oder ein Land zum irre werden? Bestimmt sieht das alles immer gleich grün aus und man kommt nicht weg, nie kommt man weiter, da man einfach nicht weiß wo man ist, da alles so gleich grün ist. Gleich grün, das hört sich nett an… „und wie geht es dir?“, fragt man da.. und man antwortet ernst und bestimmt „Gleich grün“, jeden Tag, immer und immer wieder.
Der Hof heißt Schlump, warum er nicht gleich Sumpf heißt, frag ich mich.. Nur keiner ist da, ein paar Kühe glotzen und machen große Augen. Hach so eine Kuh umschubsen, das macht Spaß. Aber meine Beine, meine Beine, die brauchen Wasser ganz schnell. Ich renne weiter und ärgere mich, warum ich denn jetzt hierhin gerannt bin durch diesen Acker, ist doch klar, dass der Bauer nur Wasser für seine Kühe hat und darin baden kann ich ja wirklich nicht. Ich schnaufe und bleibe stehen und warte, dass die Luft wieder meine Lungen füllt. Ich zähle 1, 2, 3 und bleibe stehen. Meine Beine sind schwer und langsam fängt es an zu jucken. Ich atme einmal tief ein und aus und renne Richtung Acker. Denn da hinter dem Acker, ist der Bach, den werde ich zum Waschen nehmen und vorher etwas trinken, danach geht das nicht mehr. Ich hasse dieses Rennen, ich hasse diesen Acker, diese braune Scheiße an meinen Beinen. Schlick, schlick, schlick macht es immer wenn man das eine und dann das andere Bein versucht wieder herauszuziehen.
Es macht einmal noch schlick, schlick und ich bin draußen, dabei wollte ich doch nur Google Maps haben oder einen Kompass. Ich ziehe meine Schuhe zuerst aus, dann meine Hose und dann meinen Schlüpfer. Alles braun. Ich setze mich in den Bach und warte bis alles Braune von mir gewaschen wird. Kalt ist er noch nicht mal so, wie erwartet. Ich steige aus dem Bach und ziehe mein Oberteil in die Länge, sodass es etwas nach einem Kleid gleicht, das ich trage. Das andere Zeug wasche ich im Bach. Es macht mich wütend, dieses Waschen, dieses Stehenbleiben und diese Abhängigkeit.. vom Bach, dass er jetzt mit mir meine Kleidung wieder sauberwäscht. Als wir endlich fertig sind, gehe ich wieder auf die Lichtung zu, ich ziehe meinen Schlüpfer wieder an und breite meine Hose in der Sonne aus. Ich lege mich daneben und mache die Augen zu und warte. Liebe Sonne, mach‘ dass meine Hose schnell trocknet!
© A.E.P.