Dating oder was davon übrig bleibt nach einem Jahr Covid-19

Distanziert distanzlos

In Zeiten der Pandemie ist das Finden eines neuen Partners gar nicht so einfach. Wer dann noch gerne Fernbeziehungen hat, erlebt verrückte Sachen, ob mit der Deutschen Bahn oder vor Ort.

von Anna E. Poth

Es hätte doch nicht besser kommen können, dacht ich mir, als ich auf dieser Plattform für Liebe und Gleichgesinnte ein Gegenüber gefunden hatte, das durchaus mehr Hirn hatte als viele andere. Beschwingt und voller Interesse vom Gegenüber hielten wir spontane Menschen es nicht mehr aus und beschlossen nach unserem dritten Videocall, dass ich am kommenden Wochenende einfach zu ihm fahre.

Mit der Deutschen Bahn und FFP2-Masken sollte die Strecke von Bonn nach Ravensburg problemlos funktionieren. Nichts hinderte uns mehr daran, endlich mal wieder ein fremdes Gesicht von der Nähe aus zu betrachten.

Doch es war kalt, bitterkalt im Norden Deutschlands. Daraus resultierte bei der Deutschen Bahn, dass nahezu kein Zug mehr in den Süden fuhr. Bonn und Ravensburg wurden an diesem Tag plötzlich zwei Städte, die weiter entfernt nicht hätten liegen können.

Eis und Schnee ließen die immer sympathisch brummenden ICEs nicht fahren. Dabei hatte ich mich so auf eine ICE-Fahrt gefreut. Manchmal ertappte ich mich im Home-Office dabei, die Bremsgeräusche von ICEs nachzumachen. Einfach um das Gefühl des freien Unterwegsseins nicht zu vergessen. Ich strandete bereits am Frankfurter Flughafen. Doch so einfach lässt man sich die Aufregung nicht nehmen. Ich setzte auf meine Erfahrung und verkündete die Devise: Wenn keine ICEs fahren, müssen auf jeden Fall ICs oder ECs in den Süden fahren. Ich machte mich auf den Weg zum Frankfurter Hauptbahnhof. Dort angekommen, betrug meine Fahrzeit schon 2,5 Stunden.

Den ersten IC, den ich via App ins Auge gefasst hatte, war vor Ort verschwunden. Schließlich fand ich einen IC, der frisch eingesetzt wurde und mich bis nach Ulm brachte. Ich hatte eine angenehme Fahrt, leer, leise und ohne Internetverbindung. Meine Verspätung war erst einmal auf 1,5 Stunden begrenzt. Ich entspannte, guckte auf schneebedeckte Felder oder nahm mein Notizbuch in die Hand, um etwas aufzuschreiben. Der Zug fuhr seinen Weg, bis er schließlich in Stuttgart zum Stehen kam. Der Lokführer hatte sich an diesem Tag so verspätet, wie alles andere. Schon vor Stuttgart hatte ich mit meinem Date ausgemacht, dass er mir doch etwas entgegenkommt und mich am Ulmer Hauptbahnhof abholt.

Mittlerweile war ich weder betrübt noch verärgert, hatte gute Laune und wurde langsam albern. Ich entschuldigte mich kurz bei der Person, die ich bisher nur aus dem Video kannte, dass ich die Verrücktheit besessen hatte, doch auf jeden Fall heute zu kommen. In Stuttgart hieß es jetzt sich einfach an dem Leben zu erfreuen, das man gerade hat. Freudig, neugierig und eben noch nicht angekommen, um den unbekannten Menschen zu treffen. Nach 40-minütiger Wartezeit konnten wir weiterfahren. Ich atmete auf, lachte über die Absurdität meines Daseins und war glücklich. Vor lauter Erleichterung durfte ich jetzt nur nicht einschlafen. Die Durchsagen im Zug waren spärlich und spontan.

In Ulm angekommen, begrüßten mich Kälte, mehrere Baustellen und viel zu viele Menschen. Ich stand draußen in der Dunkelheit und mein Kopf sendete nur: Hier sah es doch mal anders aus! Mehr nicht.

Natürlich liefen wir aneinander vorbei und an seine ersten Worte erinnerte ich mich nicht mehr, denn es folgte direkt: „Ich bin gerade geblitzt worden!“. Ich schluckte meine Albernheit unter der Maske runter und konnte es nicht ganz fassen. So startete unser erstes richtiges Gespräch über die Mutmaßungen, wie schnell er wohl an der exakten Stelle in Ulm gefahren war. Ich versuchte die Aufregung zu lindern, erzählte etwas davon, dass man in der Stadt ja mitbekommt, wenn man viel zu schnell fährt. Es seien ja meistens noch viele andere Autos unterwegs. Während ich sprach, fiel mein Blick auf die doch recht leeren Straßen und mir wurde klar, wir waren weder in Bonn noch in Köln. Wir waren in Ulm. Ich hoffte, er würde meine Erklärung trotzdem annehmen. Ich strich ihm über seine blaue Mütze, die überraschend weich und flauschig war.

„Meine Mütze ist kalt.“ erwiderte er. Ich schluckte und versuchte den Gedanken zu verdrängen ihm einfach meine Mütze noch zusätzlich aufzuziehen. Nur meine Mütze wollte er auch nicht anziehen. Ich begann von Projekten aus Afrika zu erzählen, die wegen der Covid-19 Pandemie nicht stattfinden konnten. Vielleicht erwärmten ihn ja die Gedanken an Sonne und Wüste.

Endlich aus Ulm draußen, wurde es schnell dunkel und noch viel leerer auf den Straßen. So eine schwarze Dunkelheit auf einer Landstraße hatte ich ewig nicht gesehen. Ich hing meinen Gedanken nach, als er aufschreckte:

„Hey, hast du das gesehen?“ Eh, ja das Leuchtende am Himmel? Denkpause. „Das komisch Grün-Leuchtende am Himmel?“, fragte ich zurück. „Ja, das war eine Sternschnuppe!“ Oh wei, dachte ich. Eine Städterin fährt aufs Land und hat auch noch verpasst ihre erste Sternschnuppe zu sehen. Ich schwieg und er fing an mir zu beschreiben, wie die Strecke bei Tageslicht aussieht.

In Ravensburg angekommen, saßen sich dann zwei bekannte, unbekannte Menschen gegenüber. Müde, fertig und einfach nur da. Nach Date sah es nicht mehr aus, so hatten wir doch unser ganzes Leben direkt mitgebracht. Er sorgte sich über sein Blitzerfoto und ich fing an mein Handy und mich von der Zugfahrt zu desinfizieren.

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